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Die
letzten Tage von Pompeji
(Peking Records)
Diese Rezension ist nicht für Westler geschrieben und nicht
von ihnen zu begreifen.
Ich vermute, daß diese LP als das definitiv letzte Dokument jener
besonderen Spezies der Rockmusik gelten kann, die im Land DDR entstand.
Nirgendwo deutlicher als auf dieser LP wird der Fluch hörbar, der
wie ein Alptraum auf dem DDR-Rock lag und diese eigentümliche Musik
für Außenstehende – und gerade für die zur Arroganz gegenüber der
Kultur des Ostblocks neigenden Bundesbürger – so leicht als Ostrock
identifizieren und beiseite schieben ließ. So klingt es, wenn sich
Generationen von Musikern permanent selbst befruchten müssen.
Der Fluch schlägt auf das Label zurück: Herbst in Peking
sangen einst von der Inzucht-Band aus dem Inzucht-Land (sie wussten
wovon sie sprachen, und die Zensoren wussten es auch) – Freygang,
jetzt von Peking Records produziert, ist der Prototyp der
Inzucht-Band. Das jahrelange Lavieren zwischen Auftrittsverbot und
Duldung führte zur kultischen Erhöhung einer Band, die im Grunde
genommen keinen Fingerbreit aus der Masse der Mittelklassecombos
herausragt. Die erschreckende Nähe zu BAP ist dabei nur
die eine (und wahrscheinlich zufällige) Seite. Viel schwerwiegender
ist die blutleere und dumpfe Monotonie, mit der sich Freygang
seit Jahren über die Bühnen schleppt. Der Slogan „Weg von der Mitte“,
von Freygang kultiviert, wurde von ihnen selbst nie realisiert.
Freygang klingt heute noch haargenau so, wie Bel Amis
1980 klang – und das ist 10 Jahre vorbei.
Man muß Freygang zugute halten, daß das alte System der
Band nicht die Spur einer Chance ließ, mehr als ein Notprogramm
aufzubauen. Zu liebevoll war die Betreuung der Band durch die Staatsorgane.
Die zeitweise Isolierung Freygangs und die Aufsplitterung
der Bandmitglieder auf mehrere Gruppen verhinderten, daß sich auf
die Dauer eine größere öffentlichkeit als die Insider, die schon
immer zu Freygang pilgerten, hinter die Band stellte. Ende
der 80er Jahre kannte die neue Generation den Namen Freygang
nur noch als eine Legende, aber wer das eigentlich ist, was die
eigentlich machen, und überhaupt, sind die nicht verboten…?
Das Mittelmaß wird aber weder erträglicher noch interessanter, wenn
man weiß, daß es mit staatlichen Daumenschrauben erzwungen wurde.
Die Unfähigkeit Freygangs, totalitäre oder administrative
Repressionen in Songs umzusetzen, die textlich und musikalisch den
Nerv aller vom System Angeschissenen treffen, macht
die Band zum ewigen Verlierer – systemunabhängig.
Den letzten, aber entscheidenden Schliff, den Freygang-Songs
nie besaßen, haben die Titel der Firma. Hier bezweifle ich,
daß die Aufteilung der LP (eine Seite Freygang, je eine
halbe Seite Firma und Ichfunktion) sinnvoll war.
So groß kann doch die Ehrfurcht vor André Greiner-Pohl nicht
sein, daß sie taub macht gegenüber besseren Songs anderer Gruppen.
Der Firma hätte man locker eine komplette Seite geben können
und bei der Gelegenheit die Ichfunktion von der Platte
bekommen, deren Songs – gelinde gesagt – sehr beliebig sind (Auch
hier rettet ein genialer Text nichts!). Die Firma-Songs
„Faschist“ und „Alte Helden“ stecken den Rest
der LP in den Sack.
Ich bewundere den Mut von Peking Records, mit der LP jetzt
auf den Markt zu kommen. Rechnerisches Kalkül kann es nicht gewesen
sein, denn die Verkaufszahlen werden sich nicht in jenen Höhen bewegen,
die Peking Records zur Deckung eigener Unkosten benötigt.
Es ist fast ein Zug von Altruismus, wenn das kleinste Label des
alten Landes in die Größen des Undergrounds von gestern investiert,
denn das Ex-DDR-Volk hat nichts vom grimmigen Radikalismus der drei
Bands. Die Verdrängung der sozialistischen/stalinistischen Vergangenheit
läuft auf Hochtouren, die Helden des demokratischen Oktobers stehen
auf verlorenen Posten, das Volk ist satt und träge – wie gehabt.
Und wie zum Trotz bringt das Label eine Platte mit eindeutigem politischen
Statement heraus.
Enjoy the Firma & stay HIP!
Marvin
Messitsch No. 5
Oktober 1990
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