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Systemausfall
(Peking Rec./HOME/DT 64/SPV)
Daß Rex Gülzow (ex-HIP) als Kopf der Firma Peking Records
mit DT 64 einen Sampler produziert, hätte es in Friedenszeiten
nicht gegeben. Das ist nur eine Feststellung, kein Vorwurf. Schließlich
ändern sich die Zeiten, bzw., „Es kommen andere Zeiten“, bzw., sie
sind schon da, und außerdem wurde die LP mit sehr viel Sinn für
Humor zusammengestellt. Jaja, da waren Fachleute am Werk. Medienexperten,
wie man heute sagt. Die wussten genau, wie um die Höhrgewohnheiten
der Jugend („unserer Jugendlichen“ sagt wohl keiner mehr) im Mutterland
und in den 5 Kolonien bestellt ist. Einen lustigen Text für’s Innencover
haben se schreibe lasse, de Exberte. Da steht es schwarz auf weiß,
wie forsch DT 64 in der alten Stalinisten-Zeit gegen das Unrechtssystem
opponierte, wie sie die „Rockbeamten der FDJ und Gralshüter einer
‚sozialistischen Kulturpolitik’“ (Zitat) ein um’s andere Mal austricksten.
„Manches … nicht genehme Stück gelangte bei uns – als Demotape verklausuliert
– zur Aufführung.“ Als Demotape! Und dann noch verklausuliert! Dieser
Mut! Diese Kraft! So etwas kann nur einer schreiben, der hinter
die Kulissen gucken kann. Ein Insider, gewissermaßen. Und siehe:
Wolfgang Martin heißt der Autor. Nun ja. Lange Jahre der kulturpolitischen
Arbeit hinterlassen eben Spuren, und wenn sie nur stilistischer
Natur sind. Diese LP besitzt eine Aaaah-Seite, eine Bäääh-Seite
und zwei Peinlichkeiten. Die erste Peinlichkeit ist das Gestottere
Singelnsteins am Beginn der LP. Wem, frage ich mal, ist denn ernsthaft
zuzumuten, sich jedes Mal, wenn er die LP auflegt, den gesammelten
Quark des Intendanten zur Begründung der Frequenzvergabe an den
RIAS als Opener anzuhören? Wem? Na? Fällt euch niemand ein? Mir
auch nicht.
Das gleiche am Schluß der LP. Die Frequenzen gehören wieder DT
64, der Schock weicht einer Siegesfeier, ein Moderator jubelt
herzerfrischend, ein Dresdner brüllt seine Freude über den Sieg
ins Mikro, es wird mitgeschnitten und, von allen guten Geistern
verlassen, ans Ende der LP plaziert. War es überschwang bei DT
64, der dies verzapfen ließ? Oder musste eine dramaturgische
Klammer her, auf Teufel komm raus?
Die Aaaah-Seite: Herbst in Peking („Bakschischrepublik“),
Ichfunktion („Hobin Rood“), Tom Terror & das Beil
(„Kopfstand“), Herbst in Flake („Bakschisch for Burundi“),
Feeling B („Lied von der unruhevollen Jugend“). Eine delikate
Auswahl, nicht wahr? Und jetzt haltet euch fest: Die Produzenten
waren sich nicht zu blöde, zwischen Ichfunktion und Tom
Terror die Gruppe Keimzeit („Irrenhaus“) zu quetschen.
Man muß das wirklich erlebt haben: Die LP kommt eben in Schwung,
da quengelt diese Band ihr unsägliches Erbe liedhafter Rockmusik
und zieht dich sofort wieder auf Null. Und spätestens hier wird
klar, daß Westler ihre Finger im Spiel hatten, die stur nach Zugnummern
verlangten, nach Songs mit Hitparaden-Erfolgen, um die LP auch zu
verkaufen. Ohne Sinn und Verstand wird hier zusammengestümpert,
was nie zusammengehören wird. Die Kapelle Keimzeit nimmt
sich gegen die anderen 5 Formationen dieser Seite sagenhaft lächerlich
aus. Das wird die anderen Bands nicht stören, aber den Hörer nervt
es, ständig aufzuspringen und den Tonarm über Titel 4 hinwegzuheben.
Und nach dem dritten Mal feuert er die LP in die Ecke.
Die Bäääh-Seite: Renft („Nach der Schlacht“), Engerling
(„Es kommen andere Zeiten“), Skeptiker („Strahlende Zukunft“),
Der Expander des Fortschritts („Fremdgeh’n durchs Land“),
Sandow („Born in the GDR“). Das nun ist noch schlimmer.
Wer kann denn Engerling zwischen Renft und den Skeptikern verbraten,
ohne Engerling mit Macht eins auf die Rübe geben zu wollen?
Wer kann die Skeptiker bei klarem Verstand zwischen Engerling
und Expander plazieren? Wer verantwortet, daß ein wunderbarer
Song des Expanders (nie hörte ich Ecke Binas schöner das
Wort „Samenausspritzen“ sagen, im Ernst) hier sinnlos verschleudert
wird? Wer will Sandow zur Weißglut treiben, die sich öffentlich
schon dutzendmal von „Born in the GDR“ lossagten und nun wieder
von diesem Song verfolgt werden, um den Hauch des Sensationellen
willen? (Nochmal DDR – nein, GDR – sagen, und außerdem stand auch
dieses Lied für kurze Zeit auf dem DT 64-Index.)
Peking Records, HOME, DT 64, SPV – es waren der Köche zu
viel. Und es waren die falschen. Oder die Prioritäten waren ungleich
gesetzt. Und so wird es weitergehen. Wir sind nicht mehr kompetent.
Der Westen wird’s schon richten. Er wird die Platten marktgerecht
machen. Die Westler wissen eh nicht, was bei uns gehauen und gestochen
war. Die kaufen’s, oder sie lassen’s sein. Was wir bei Wunderlichkeiten
wie diesem Sampler empfinden, interessiert sowieso nur unseren Psychiater.
Und der kommt aus dem … Scheiße.
Von fern höre ich ein Gerücht. Zong will einen DDR-Nachlaß-Sampler
produzieren. Zong, das war doch Z, und davor hießen
sie … AMIGA! Süße Braut! Tu es! Und wirf die Händler und
Wucherer des Okzidents aus dem Tempel! AMIGA bleibt unser!
Marvin
Messitsch No. 2
Februar 1991
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